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Bevor diese Frauen der Astra-Werke AG durch Chemnitz getrieben wurden, führte der Todesmarsch der fast 1.000 jüdischen Frauen des Außenlagers des KZ Groß-Rosen Schlesiersee II (Slawa)/Grünberg (Zilona Góra) am hellerlichten Tag des 22. Februars durch unsere Stadt. In der Regel befahlen die SS-Wachmannschaften, wenn es durch Ortschaften ging, den Einwohnern unter Schießandrohung, die Fenster zu schließen. So ist es auch möglicherweise in Chemnitz gewesen. Dadurch erklärt sich, dass sich bisher keine Zeitzeugen in Chemnitz gemeldet haben, die diesen Todesmarsch beobachteten. Der Evakuierungsmarsch Schlesiersee II, aufgefüllt mit Häftlingen des Lagers Grünberg, verließ das Lager Grünberg mit circa 1.300 Frauen in Richtung Südwest mit dem Ziel KZ Dachau. Am Zwischenziel Außenlager Christianstadt (Krzystkowice) ließ der Kolonnenführer Karl Jäschke mehr als 50 marschunfähige Frauen erschießen. Hier kam
es auch zu Fluchten. Einige Frauen gingen ins Lager Grünberg zurück, wo sie wieder arbeiten konnten und kurz darauf von sowjetischen Truppen befreit wurden. Auch andere Frauen versuchten zu fliehen, was einigen gelang. Viele wurden wieder eingefangen und anschließend von den Bewachern erschossen. Über Bad Muskau zog die Kolonne weiter nach Bautzen. In der Nähe von Salzenforst kam es zu einem weiteren Massaker. Weil angeblich ein Häftling Brot gestohlen haben sollte, forderte Jäschke die Betroffene auf, sich zu melden und drohte, jeden zehnten Häftling erschießen zu lassen, wenn sich die Angeschuldigte nicht stellte. Als dies nicht geschah, wählte er 50 Frauen aus und ließ 43 von ihnen in der örtlichen Kiesgrube erschießen. Sieben Frauen mussten mühsam eine Grube ausheben. Die dem Tod geweihten Frauen standen dabei und mussten warten, ehe sie dann in Fünfergruppen erschossen wurden.
Während die Überlebenden am 12. Februar 1945 das Dorf Burkau erreichten und sich dort ausruhten, konnten sie am 13./14. Februar die Bombenangriffe auf das circa 35 Kilometer entfernte Dresden mit verfolgen. Am 16. Februar ging es im zerstörten Dresden über die Elbe und dann weiter in Richtung Freiberg, das am 18. Februar passiert wurde. Am 22. Februar 1945 durchquerten tagsüber dann ca 1.000 jüdische
Bei den folgenden Stationen wurden immer wieder Häftlinge tot zurückgelassen, so in Meierhof kurz vor Helmbrechts, wo sogar noch 30 Frauen starben. In Oelsnitz/Vogtland wurden marschunfähige Häftlinge mit einem Bahntransport in ein anderes Lager nach Zwodau (Svarava)umgeleitet. Von 179 Frauen waren noch 19 auf dem Transport in offenen Güterwagen verstorben. 621 Häftlinge erreichten am 06. März das inzwischen neu geplante Ziel Helmbrechts bei Hof, da das KZ Dachau angesichts des furchtbaren Zustandes der Frauen nicht mehr erreichbar schien. 781 Frauen (sowie einige geflüchtete) hatten damit den circa 400 Kilometer langen Fußmarsch zwischen Grünberg und Helmbrechts beziehungsweise Oelsnitz mit folgendem Bahntransport bis Zwodau überlebt.
Das Lager Helmbrechts war allerdings auf die Ankunft von so vielen neuen Häftlingen nicht vorbereitet. Sie wurden in unfertigen Baracken untergebracht und erhielten kaum Nahrung und Getränke. Auch arbeiten war nicht möglich. Vierzig weitere Frauen verstarben innerhalb einer Woche. Aufgrund der Annäherung der Amerikaner räumte man das Lager Helmbrechts Richtung
Lager Zwodau.7 Am schwersten war es für die erschöpften Frauen aus Schlesiersee I und Grünberg.8 Zwischen 100 und 125 Häftlinge wurden auf dem Marsch nach Zwodau erschossen.9 Obwohl ein SS-Offizier am 14. April 1945 die Kolonne stoppte und Himmlers Befehl weitergab, dass Häftlinge nicht mehr ermordet oder geschlagen werden dürfen und die Aufsicht über die Kolonne bei Annäherung der Amerikaner auf örtliche Kräfte übergehen soll (es seien Bedingungen der Amerikaner für Verhandlungen mit Himmler, so der Offizier)10 , folgte der Kolonnenführer Alois Dörr dem Befehl nicht und marschierte weiter in Richtung Zwodau, wo er am 17. April ankam. Das Lager war aber durch andere Evakuierungen ebenfalls hoffnungslos überfüllt.
Dörr ließ die Frauen nach nur zwei Tagen Ruhepause, am 19. April, in Richtung Süden weitermarschieren. Alle nichtjüdischen Häftlinge der Kolonne wurden in Zwodau zurückgelassen, Jüdinnen aus anderen Todesmärschen gliederte man stattdessen ein. Über Lauterbach, Sangerberg, Marienbad und Kuttenplan ging der Marsch durch das Sudetenland zunächst bis Wilkenau. Zwar kam es immer wieder vor, dass Frauen flüchteten, die Zahl der Toten mit mindestens 42 war bei weitem größer.
Aber der Marsch war noch nicht zu Ende. In den nächsten acht Tagen ging er weiter in Richtung Süden, durch Böhmen und Mähren, bis zum Ort Wallern (Volary). Auf dieser Etappe starben noch einmal 68 Frauen, durch Mord, Erschöpfung oder Luftangriffe. Da die US-Armee in unmittelbarer Nähe war, trennte man die Gruppe von Dörr und 118 marschunfähige Frauen wurden zurück gelassen. Die anderen 175 Frauen marschierten unter Zwang in kleinen Gruppen nach Prachatitz. Eine erste Gruppe von 35 Frauen, begleitet von SS-Wachen, kam kurze Zeit später in einen Luftangriff, bei dem die Ehefrau eines SS-Mannes umkam. Die SS ermordete später mindestens 17 von 21 zurückgelassenen Häftlingen11 , neun konnten noch fliehen. Nur vier marschierten weiter in Richtung Prachatitz. Hier wurden die nicht-jüdischen Häftlinge, die in Zwodau als Hilfsaufseherinnen mit marschieren mussten, entlassen. Alle in Prachatitz angekommenen jüdischen
Frauen bekamen den Befehl, wieder nach Wallern zurück zu kehren, wo sie dann endgültig am 6. Mai 1945 von amerikanischen Truppen befreit wurden.
Auch in den nächsten Wochen starben trotz aller Bemühungen der Amerikaner und der örtlichen Krankenhäuser zahlreiche weitere Häftlinge. Von den 1.300 Häftlingen, die Grünberg am 29. Januar 1945 verlassen hatten, haben nur 138 Frauen den längsten Todesmarsch überlebt, abgesehen von einigen erfolgreichen Fluchten. Der Todesmarsch durchquerte mit dem Wartheland, die Provinz Brandenburg, die Provinz Niederschlesien, das Land Sachsen, das Land Bayern und den Reichsgau Sudetenland, also sechs Gebiete über eine Länge von circa 800 km. Mit einer Todesrate von circa 85% war er einer der schlimmsten Märsche in der Endphase des Krieges überhaupt und ist paradigmatisch für das mörderische, teils widersprüchliche Verhalten der Bewacher, wie auch das wachsende Chaos in dieser Zeit.
Zur gleichen Zeit, im Februar 1945, wurde auch ein Marsch von Häftlingen des Außenlagers des KZ Groß-Rosen Bunzlau I (Boleslawiec) mit ca. 700 Männern durch Chemnitz
geführt. Die genaue Route ist noch nicht dokumentiert. Die Häftlinge des Außenlagers Bunzlau I und II waren für die Forcke-Wulf-Flugzeugbau GmbH Bremen im Einsatz. Am
11. Februar 1945 evakuierte die SS das Lager und schickte die bereits erschöpften Häftlinge auf Todesmarsch. Etwa 150 Kranke aus beiden Lagern blieben zurück und wurden am 12. Februar von der Roten Armee befreit. Die Todesstrecke ging über Görlitz -Chemnitz -Leipzig -Halle -KZ Dora-Mittelbau. 541 Lebende wurden dort am 25. März registriert.13 Die letzte Welle von Todesmärschen mit KZ-Häftlingen erlebte Chemnitz schließlich im April 1945, als zahlreiche Marschkolonnen das Land von Nordwesten nach Südosten durchquerten:
Am 13./14. April 1945 zogen ca. 700 jüdische Frauen vom Außenlager Langenleuba Oberhain des KZ Buchenwald (sie leisteten Arbeitsdienst im Max-Gerth-Werk Penig für die Junkers Flugzeug-und Motorenwerke AG) über Mittweida -Hartmannsdorf durch Chemnitz zur Altchemnitzer Str. 41 in die Unterkünfte der Astra-Werke AG. Am 15. April wurden die Frauen über Burkhardtsdorf -Zwönitz bis Haid getrieben. 72 Frauen gelang in Chemnitz die Flucht. Amerikanische Truppen befreiten sie in Mittweida. Mitte April wurde das Außenlager der Auto-Union AG in Hohenstein-Ernsthal evakuiert. Die 420 Häftlinge gingen auf Todesmarsch über Grüna -Reichenbrand -Markersdorf über den Erzgebirgskamm in den Sudetengau nach Zludice.
Am 13. März 1945 traf eine Kolonne von ca. 1000 Männern in Erdmannsdorf ein. Sie hatten bereits einen Fußmarsch ab 9. Januar von Kittlitztreben, Außenlager des KZ Groß-Rosen, hinter sich. Die Häftlingemarschierten weiter überDittmannsdorf -Gornau -Weißbach -Kemtau -Burkhardtsdorf -Adorf/Erzg. -Erlbach-Kirchberg -Lichtenstein bis ins KZ Buchenwald. Dort wurden am 4. April 746 Häftlinge registriert. Am 11. April 1945 , Kommando "Reh": 700 Männer, des Außenlagers Staßfurt (KZ Buchenwald) wurde in Marsch gesetzt. Am 8. Mai marschierten die Häftlinge von Ansprung über Marienberg -Mildenau nach Annaberg wo die Freilassung der 250 Häftlinge erfolgte. Allein auf sächsischem Gebiet gab es 221 Todesopfer.
Am 15. April 1945 begaben sich 700 Häftlinge des Außenlagers Flossenbürg in Flöha-Plaue auf Todesmarsch. Diese Häftlinge arbeiten über ein Jahr lang für die Fertigung von
Rümpfen für das Jagdflugzeug He 109 im Werk Tüllfabrik Flöha GmbH. (Tarnname „Fortuna GmbH“ Flöha) der Erla-Maschinenwerk GmbH Leipzig. Sie liefen über Hennersdorf -Waldkirchen -nach Gelobtland. Dort ließ SS-Oberscharführer Brendel 56 Häftlinge erschießen. An der Heinzebank erschlug er drei Häftlinge Am 30. April 1945 traf eine Kolonne von ca. 500 politischen Häftlingen nach langem Todesmarsch in Borstendorf ein. Sie marschierten am 9. April 1945 von Halberstadt (damals preußische Provinz Sachsen), einem Außenlager des KZ Buchenwald (tätig bei Junkers Flugzeug-und Motorenwerke AG Dessau), über Riesa, Freiberg in unsere Gegend.
In Borstendorf wurden die Häftlinge mit Entlassungsscheinen freigelassen. Diese liefen dann weiter über Grünhainichen bis Klaffenbach. Hier trafen sie auf amerikanische Truppen.
Dr. Hans Brenner und seine 50 Mitstreiter haben ein umfangreiches Werk über die Anfänge der Konzentrationslager in Sachsen vorgelegt.
Die Neuerscheinung der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung wirft ein neues Licht auf die Zeit der Nationalsozialismus zwischen 1933 und 1945 in Sachsen. Zu den Themen zählen das System der Frühen Konzentrationslager von 1933 bis 1937 (mit mindestens 80 sächsischen Städten und Gemeinden), die politischen Prozesse gegen Gegner des NS-Systems, Opferschicksale aus den verschiedenen Verfolgten-Gruppen und die als Todesmärsche bezeichneten Evakuierungsmärsche aus Konzentrationslagern und deren Außenlagern ab Herbst/Winter 1944 über sächsisches Territorium.
Mit einem umfangreichen Datenanhang und vier thematischen Karten liefert das Buch neuestes Forschungsmaterial für die sächsische Heimat- und Landesgeschichte.
Brenner, Hans / Heidrich, Wolfgang / Müller, KlausDieter / Wendler, Dietmar (Hrsg.) NS-Terror und Verfolgung in Sachsen.
Von den Frühen Konzentrationslagern bis zu den Todesmärschen Sächsische Landeszentrale für politische Bildung, Dresden 2018, 624 S

Erinnerungnen von Richard Thiede (1906 - 1990) Herausgegeben von Gert Thiede
Zu diesem Bericht Im Januar 1984, mit bereits 78 Jahren, hat mein Vater versucht, sein persönliches Leben schriftlich festzuhalten.
Sein Ziel war es, die Erinnerungen einmal in einer Schrift zusammenzufassen und der Öffentlichkeit oder einem Museum zur Verfügung zu stellen. Dabei kam es ihm vor allem darauf an, die in Zeiten politischer Engstirnigkeit mancher Funktionäre, ihre abwertende und abweisende Einschätzung zum Wirken der Freien-Arbeiterunion-Deutschlands (FAUD) in der Betrachtung der Arbeiterbewegung richtig zu stellen. ....

